Pflanzenportrait

Wilde Möhre (Daucus carota)

 

Stellen Sie sich vor, Sie möchten in einem Restaurant essen gehen. Zur Auswahl steht ein Restaurant, in dem bereits einige Menschen sitzen, sowie ein Weiteres, das noch gänzlich leer ist. Für welches Restaurant würden Sie sich entscheiden? Die meisten Menschen würden Ersteres nehmen.

Wenn wir nun in die Pflanzenwelt schauen, sehen wir ein ganz ähnliches Prinzip: Die Wilde Möhre hat meist eine dunkle Scheinblüte in der Mitte ihres Blütenstands. Vermutlich soll diese einen Insektenbesuch vortäu-schen, um weitere Gäste anzulocken. Unsere Pflanze des Monats August hätte diesen Trick aber gar nicht nötig. Die weißen Doldenblüten erscheinen von Juni bis in den September und sind stets reich bevölkert. Meist finden wir dort Käfer und Schwebfliegen, die sich über den gut erreichbaren Pollen und Nektar freuen. Doch auch Falter und Wildbienen lassen sich dort beobachten. Auch die schöne Streifenwanze können wir meist an der Wilden Möhre finden. Sie saugt an den reifenden Samen.

Insgesamt nutzen 25 Wildbienen-Arten den Pollen für ihren Nachwuchs, vor allem Sand-, Furchen- und Schmalbienen. Die Blätter sind zudem ein wichtiges Raupenfutter für viele Falterarten. Besonders imposant ist hier der Schwalbenschwanz, dessen Raupen nur an Doldenblütlern fressen.

Die Wilde Möhre ist die Urform unserer Gartenmöhre. Auch sie hat eine Pfahlwurzel. Allein ihr Duft erinnert schon an das Gemüse. Und auch die Blätter sind wie bei der Gartenmöhre essbar. Allerdings ist hier Vor-sicht geboten: Weiße Doldenblütler sehen sich oft sehr ähnlich. Und es gibt giftige Vertreter wie den Gefleckten Schierling oder die Hundspetersilie. Lassen wir sie also lieber stehen.
Als zweijährige Pflanze bildet die Wilde Möhre im ersten Jahr eine Blattrosette, aus der sie im zweiten Jahr ihre Blüte in etwa einen Meter Höhe schiebt. Wir finden sie meist am Wegesrand oder auf Brachen an sonnig-warmen und eher mageren und trockenen Standorten. Auch im Garten und auf dem Südbalkon macht sie sich sehr gut. Pflege benötigt sie keine. Weil sie in ganz Deutschland häufig ist, stehen die Chancen nicht schlecht, dass sie von alleine auftaucht – sofern ihr die Bedingungen zusagen. Ansonsten können wir einfach ein paar ihrer Samen sammeln und an den gewünschten Ort in offener Erde ausstreuen.

Wenn die Blütezeit vorübergeht, rollt sich der Blütenstand wie zu einem Nest zusammen. Insekten nutzen dies gerne als Quartier. In der kalten Jahreszeit bilden die abgestorbenen Pflanzen einen reizvollen Anblick. Einige Vögel, darunter der Stieglitz, machen sich im Winter mit Vorliebe über die nahrhaften Samen der Wilden Möhre her.

Markus Schmidt, Stiftung für Mensch und Umwelt
https://www.stiftung-mensch-umwelt.de/